Karbushevka

Unsere Heimat 

 Lieber Gast,

es kann wirklich Spaß machen ab und zu so etwas zu lesen. Andererseits, in Bezug auf Vergangenheit, sind diese Werke dazu noch besonders wertvoll. Zusammen spiegeln sie eine ganze Epoche von einer großen Volksgruppe wieder. 

Der aufmerksamer Leser sieht hier die Auswanderung unserer Vorfahren aus Europa (Das Einwanderungslied: 1764-1767), die Ansiedlung in Russland, ihr schweres wirtschaftliches und politisches Los (das Lied vom Küster Deiß: 1764-1914), Terror, Genozid (Dort am fernen Wolgastrome: 1917-1954)  und zum Schluss die Zurückwanderung und wieder die Ansiedlung in Deutschland (Hercules: 1988-2000). 

Diese Werke liefern die Antwort auf Fragen: 

Was für eine Volksgruppe ist Ausgewandert? (Etwa 100.000) 

Was für eine Volksgruppe ist nach 230 Jahren zurückgekommen? (Etwa 2 500.000)

Wer ist diese Volksgruppe nach Ankommen hier in Deutschland?


In allen Zeiten legte jedes Volk einen großen Wert auf seine Vergangenheit, so zu sagen Wurzeln. Jene Volksgruppe hat keine Heimat und als Volk kann man sie deswegen nicht bezeichnen. Gerade deswegen beheimateten sich die Sowjetdeutschen in Europa sehr schnell und gehen letztendlich in die Bevölkerung unter, oder wie es so schön heißt-verschmelzen. 

Trotz allem gibt es immer Individuums die die Geschichte ihrer Ahnen, gleich welcher Herkunft und Nationalität, bewahren und von Generation zu Generation weitergeben. Wissen zu schätzen hat es dabei jede Generation.
Die Auswanderung und Zurückkehrt der Angehörigen dieser Volksgruppe kann man eigentlich getrennt von der gesamten Geschichte von Deutschland nicht betrachten, weil die Wurzel liegen ja in Deutschland. Aber der Werdegang der deutschen  Diaspora in Russland und später in Sowjetunion gestaltete sich anders als in Deutschland und das ist ja auch verständlich - im Ausland kann die Volksgruppe den Schritt mit Mutterland nicht halten.
Die vier zusammengefasste Geschichte sind vielleicht keine Glanzstücke der Kunst, aber behandelt mit entsprechendem Respekt werden sie hoffentlich noch eine lange Zeit. 

Unsere Pflicht besteht darin sie aufzubewahren und unseren Nachkommen weiterzuleiten.


Weißenburg 2005


                          

           Bernhard Ludwig von Platen

                     Einwanderungslied

Reise- Beschreibung der Kolonisten, wie auch
Lebensart der Russen, von Offizier Blahten.


 1.
Was ist das vor ein Schmerz
Daß ich muß Deutschland meiden
Und nun als Kolonist
Viel Plag und Kummer leiden
Betrübniß viel Verdruß
Zu Wasser und zu Land
Drum bin ich ärgerlich
In diesem neuen Stand.
2.
Stadt Lübeck war der Ort
Wo man thät angaschiren
Da konnte wer da wollt
Jung alt und groß und klein
Zu diesem Gast-Gebot
Bald eingeladen seyn.
Drum thät ich alle Tag
Mir mit Gedanken quälen.
3.
Mundirung Geld und Gut
Thät mir nun gänzlich fehlen
Kurz meine ganze Sach
War herzlich schlecht bestellt
Ich kann es ohne Klag
Vor Leute so verhehlen
Ich mußte Barfuß gehen
Kein Schnaps war nicht zu Wählen.
4.
Drauf resolviert ich mich
Auch mit dahin zu gehen
Ob ich mein Glück nicht könnt
In Rußland blühen sehen
Ging also eiligst hin
Zum Werbungs – Kamisanden
Sagt daß ich ein Offizier
Auch gut von Adel wär.
5.
Bat mir zu Gnaden aus
Der Kaiserin zu dienen
Deßfalls war ich allda
Nach Russland jetzt erschienen
Um diese Reis zu thun
Mit in das neue Land
Ich kam auch also gleich
In den Kolonistenstand.

6.
Acht Schilling alle Tage
Bekam ich zu verzehren
Konnt gehen wo ich wollt
Hat mich an nichts zu kehren
So lebt ich 14 Tag
Ganz ruhig im Quartier
Allein da gings zu Schiff
Ein sehr betrübt Plamier.
7.
Da ward ein jeder Mann
Mit Brofiant versehen
Und so nach Petersburg
Ins Schiff hinein zu gehen
Allein condrerer Wind
Macht uns die Reise schwer
Das Brofiant ging auf
Die Taschen wurden leer.
8.
Sechs Wochen mußten wir
Die Wasserfahrt ausstehen
Angst, Elend, Hungersnoth
Täglich vor Augen sehen
Also daß wir zuletzt
Salz – Wasser, schimmlich Brot
Zur Lebens unterhalt
Erhielten kaum zur Noth.
9.
Bis diese Glückstund kam
Oranienbaum zu sehen
Da thät ein jeder nun
Mit Freud vom Schiffe gehen
Quartierte 14 Tag
Uns in die Häuser ein
Von da nach Petersburg
Ja all zum Schiff hinein.
10.
Bei dieser Hauptstadt nun
Thäten wir drei Wochen bleiben
Und auf dem Wasser uns
Im Schiff die Zeit vertreiben
Darzu bekamen wir
Zehn Kreuzer in die Hand
Weil uns 3 Groschen Tags
An Abzug war bekannt.
11.
Dies kam mir spanisch vor
Weils teier war zu leben
Mein Geldsack war betrübt
Und keiner wollt was geben
Da dacht ich bei mir selbst
Dies ist ein Schlechter Spaß
Das Geldchen ist verzehrt
Und hast noch keinen Fraß.
12.
Wo dieses lange währt
Wie wird es mir noch gehen
Viel Kranke thät ich auch
Auf allen Seiten sehen
Doch hielt ich Köndin aus
Und bat auch inniglich
Um nur gesund zu seyn
Das andre findet sich.
13.
Drum Leser finde dich
So wie ich mich thät finden
Vielleicht haben wirs verdient
So beyd’ mit unsern Sünden
Hab Hoffnung und Geduld
Und sey mit dich vergnügt
Wirf alle Sorgen weg
Die dir am Herzen liegt.
14.
Drum werden wir gesund
Nach Saratow hinkommen
Sie weil wir schon den Weg
Schlüsselberg genommen
Auch Himmel hilf uns bald
Von dieser Wasser–Qual
Wir fuhren auch gar bald
Gar hoch und tiefe Thal.
15.
Allein noch wenig Trost
Wir mußten weiter reisen
Bis daß wir bei der Stadt
Pasirten durch die Schleußen
Da kamen wir endlich hin
Zur Stadt hieß Nowgorod
Hier spielte abermal
Mein Geldsack ein Pankrot.
16.
Nun hört ich 30 Werst
Wird man zu Schiff noch gehen
Dann wird man uns zu Land
Bald auf die Wagen sehen
Da wir denn alle Nacht
Stets kommen ins Quartier
Nun dacht ich bei mir selbst
Dies Reisen freuet mir.
17.
Allein Potssappermend
Ich hab es wahr genommen
Ich bin bei Tage nicht
Zu einem Sitz gekommen
Da hieß es laufe nur

Und geh beim Wagen her

Dies waren harte Wort

Und fiel mir herzlich schwer.
Es ist recht in der That
18.
Und wann den ganze Tag
Wir denn recht müd gegangen
Und hatten zum Quartier
Ein sehnliches Verlangen
Vor Kält und Hungersnoth
Ich gerne ruhen wollt
Und sättigen mit Brot.
19.
Wir mußten 14 Tag
Beim Wagen patrollieren
Und Weiber mit Pakasch
Zu Lande transportieren
Hier wurden viele krank
Und viele blieben todt
Die Kinderlein voraus
Die litten große Noth.
20.
Da kamen wir zur Stadt
Wo wieder Schiffe Lagen
Hier wollten wir uns nun
Vor Kälte schon beklagen
Allein was war zu thun
Man mußt zur Bark hinein
Dieweil noch kein Quartier
Vor uns bestimmet seyn.
21.
Da rief ein jeder nun
Wie thut man uns fixiren
Doch halt das Wasser wird
In einigen Nächten frieren
Und wie denn auch geschah
Zur Torschhof hieß der Ort
Drum schreibe ich anjetzt
Hier meine letzte Wort.
22.
Doch halt es fällt mir ein
Schon wieder was zu schreiben
Und will mit diesem Reim
Mir meine Zeit vertreiben
Wir kamen alle sammt
Mit einer Bittschrift ein
Daß wir doch im Quartier
Zum Winter möchten seyn.
23.
Da dieses nun hieß ja
Mann soll uns einquartieren
Die weil ein jeder glaubt
Er würde bald erfrieren
Transportierte man uns gleich
Ja in die Dörfer ein
Wo wir auch dazumal
Gleich einquartieret seyn.
24.
Da ich nun diese Zeit
Sehr vieles ausgestanden
Dennoch nicht böse ward
Mit schelten Fluch und Banden
Ob schon mein neu Quartier
Sehr traurig thät aussehen
Doch musst ich mit Geduld
Dies alles überstehen.
25.
Die weil ich mich erfreut
Die Rußen anzuschauen
Sah mit Verwunderung
Wie sie ihr Land bebauen
Das wird nicht recht gepflügt
Nicht ordentlich besäet
Und wenn die Früchte reif
Von Herzen schlecht gemeht
26.
Da nun auf manges Land
Ja wirklich reicher Segen
Weil hier an dem Verstand
Der Bauer sehr verlegen
Denn nehmen sie ein Pferd
Mit ein klein Wägelein
Und legens auf ein Hauf
Daß muß die Scheuer seyn.
27.
Der Regen, Wind und Schnee
Der muß nun Ordnung halten
Hans Russemann sitzt im Haus
Thut weiter nichts verwalten
Bis daß die große Noth
Und ihn der Hunger treibt
Nun spricht er Matschka komm
Hol was noch übrig bleibt.
28.
Dann nimmt er dickes Holz
Fängt grausam an zu schlagen
Ja wenn ich’s angesehn
Ich thue bald verzagen
Daß so ein Unverstand
Und reicher Segen war
Vor Faulheit stinkt der Ruß
Das ist ja hell und klar.
29.
Sonst Russlands Gegenden
So ich bisher gesehen
An Holz und Wies und Feld
Kann alle Zeit bestehen
Nur daß es von Natur
Den Winter ist bekannt
Wer wenig auf dem Leib
Dem friert auch Fuß und Hand.
30.
Nun hab ich in der Kürz
Des Landes vorgenommen
Jetzt will ich auf die Tracht
Und Lebensarten kommen
Dieweil ich Winterszeit
Hab alles angesehn
31.
Als ich das erste Mal
In mein Quartier getreten
Da hört ich ja den Ruß
Stark seufzen stehn und beten
Und waren jung und alt
Von Herzen sehr betrübt
Weil man den Kolonist
Ihm ins Quartiere giebt
32.
Und Batschka sein Gestalt
War böse anzuschauen
Seim haarigen Gesicht
Dem thät ich gar nicht trauen
Er ging fast fällig nackt
Im bloßen Hemd allen
Und Matschka musst mit ihm
Stets auf dem Ofen seyn.
33.
Ich kuckt ins Ofenloch,
Weil oben alle lagen
Sie wollten mich bald all
Mit Faust und Finger schlagen
Doch mit dem großem Bart
Der kam vorher hinein
Wo Batschka, Matschka auch
Bald nachgefolget seyn.
34.
Doch weil es morgen war
Und ich von Schlafe kam
Sah ich den Rußenmann
Wie auch die Baba an
Ich dachte bei mir selbst
Was soll denn das bedeuten
Die gehen ja bloß im Hemd
Und das vor allen Leuten.
35.
Doch hatten groß und klein
Die Spintel in der Hand
Und nach der Ofenblat
Sich alle zugewand
Ich hatte nun die Stub
Vor mir allein zu sehen
Nur Hüner, Schwein und Schaf
Dafor konnt ich kaum gehen.
36.
Die führten sich dabei
Auch ziemlich schmutzig auf
Da dacht ich bei mir selbst
Hier gehst du auch wohl drauf
Allein was war zu thun
Bei diesen kalten Tagen
Da man die warme Stub
Sehr gerne thut vertragen.
37.
Drum ging ich ab und an
Mit Matschka, Batschka Weib
Und sah die Tafel an
Zu meinen Zeitvertreib
Die Älteste im Haus
Die thät mir allzeit kochen
Doch sah ich wenig Fleisch
Desfalls auch wenig Knochen.
38.
Allein Kapusta Quaß
Hirse und Heyte-Gritz
Das macht sie sich die Woch
Und alle Tag zu Nutz
Und wenn sie dann gekuscht
Die Jungen mit den Alten
Daß keiner bei dem Tisch
Was weiter zu verwalten.
39.
Da ging es mit Gewalt
Wohl auf den Ofen zu
Da lagen sie zwei Stunden
Und hielten gute Ruh
Als dann erwachten Sie
Bald einer nach dem andern
So thät Hans Batschka auch
Wohl nach dem Hofe wandern.
40.
Haut einige Stücker Holz
Gab seinen Pferden Stroh
Und war mit seinen Bart
In seinem Herzen froh
Ja wenn ich darauf komm
Wie schlecht das Vieh gehalten
Zwei alte dürre Pferd
Die müßen das verwalten.
41.
Was man in Deutschland kaum
Mit zween Pferden kann
Und mit der größten Fuhr
Spannt Batschka eins nur an
Kein Haber oder Korn
Sieht man das Vieh hier geben
Doch aber gutes Heu
Dabei muß alles leben.
42.
Milch ist im Überfluß
Doch Käs und Butter nicht
Weil es der Bauer hier
Nicht weiß wies zugericht
Nun ist es wahr gesagt
Von dem gemeinen Leben
Als von dem Bauerstand
Wovon die Red thut geben.
43.
So arbeitet er nicht viel
Er lebt auch herzlich schlecht
Er führt auch keinen Staat
Der Herr geht wie der Knecht
Kein Silber Seiden Zeug

Nur lauter Leinwand Sachen

Das läßt er sich im Haus

Von seiner Matschka machen.
44.
Keine Stiefel keine Strümpf
Ja auch sogar die Schuh
Da nimmt er aus dem Wald
Von Bäumen Bast dazu
Doch hat er einen Pelz
Den trägt er Winterszeiten
Und das nicht alle Tag
Nur wenn’s was soll bedeuten.
45.
Sonst sind sie von Natur
Hier schon so hart gewohnt
Sie haben den Anzug nicht
Daß es der Mühe lohnt
Und mir war so zu Muth
In diesen kalten Tagen
Ich scheu mich fast davor
In meiner Schrift zu klagen.
46.
Mir fror mein Herz im Leib
Mein Geldsack fror mir ein
Desfalls muß Matschka stets
Mit mir beim Ofen seyn
Nun die Mobilien im Haus
Ich muß sie auch beschreiben
Des Morgens konnt vor erst
Ich nicht im Zimmer bleiben.
47.
Vor Rauch und dicker Dampf
Weil hier kein Schornstein war
Bis daß mein Mittagsbrot
Im Ofen fertig war
Gorschok und Badeika
Wie wir die Töpf thun nennen
Lernt man im Überfluß
In ihrer Wirtschaft kennen.
48.
Kein Kessel, Kupfer Zeug
Kein Eisen, Zinn noch Blei
Nur eine Küchenpfann
Die ist noch wohl dabei
Sonst all ihr Hausgeräth
Als Schüssel, Löffel, Teller
Dies alles ist von Holz
Und kostet nicht zwei Heller.
49.
Die Fenster sind von Glas
Doch nur zwei Scheibelein
Daß kaum die liebe Sonn
Kann geben ihren Schein
Kein Bette lieben sie
Die Bank und auch der Ofen
Da muß die Matschka nun
Den Batschka innig loben.
50.
Daß er in diesem Stück
Hier thut was sich gebührt
Daß er so manches Kind
Hierauf so fabriciert
Auch ist hier der Gebrauch
Sich wöchentlich zu baden
Dies ist recht rusche Luft
Einander einzuladen.
51.
Was Batschka nun im Haus
Die Woch versäumet hat
Zahlt er der Matschka aus
Ganz nakt im Wasserbad
Auch fällt mir dabei ein
Ich sah vor einigen Tagen
Halt ein ich mag es nicht
Vor allen Leuten sagen.
52.
Ich saß an einem Tisch
Schrieb diesen Lebenslauf
Lag Matschka auf der Bank
Und Batschka oben drauf
Was hier nun ist geschehen
Das kann ich zwar nicht wissen
Nur daß ich wirklich sah
Den Batschka Matschka küssen.
53.
Was bei den Küssen ist
Nun weiter noch geschehen
Das hab und magt und wollt
Und konnt ich auch nicht sehen
Wo komm ich aber hin
Was brauch ich mehr zu schreiben
Ich will bei meinem Marsch
Und Reisbeschreibung bleiben.
54.
Wir liegen noch allhier
Ganz ruhig im Quartier
Ich glaub wir gehn nun mehr
Jetzt balde weg von hier
Nun da es auch so hieß
Wir sollen weiter reisen
Man wird uns morgen schon
Auf eine Barke weisen.
55.
Drum Dank ein jeder jetzt
Vor noch gesund zu seyn
Ein jeder geh mit Freud
Zu seinem Schiff hinein
Damit wir dermal eins
Auch mögen dahin kommen
Zum angewiesnen Ort
Den wir uns vorgenommen.
56.
Mir deugt es brauset schon
Der alte Wolgastrom
Hier lag auch eine Stadt
Die hiesen sie Kastrom
Spannt nun die Segel auf
Und laßt die Wellen toben
Und hilft das Glück uns hin
So wollen wir es loben.
57.
Anjetzt schon sieben Städt
Mit Glück vorbei pasiert
So es uns auch gar bald
Nach Saratow hinführt
Der Schiffer sieht ja auch
Kasackenstadt schon liegen
Und wenn die Augen mir
Nicht mit Gewalt betrügen.
58.
So seh ich schon die Stadt
Mit Namen Sararow
Und in zwei gute Stund
So sind wir alle dort
Mein Freund wie mir zu Muth
Wie ich war angekommen
Karasche, Herz und Muth
Dieß war mir als benommen.
59.
Ich dachte bei mir selbst
Ist das der schöne Ort
Der hat nicht mal ein Thor
Viel weniger eine Pfort
Lang quälen ist der Tod
Wir haben uns ergeben
Mag kosten Haut und Haar
Herein ins wilde Leben.
60.
Seht Kinder sehet doch
Kasackenstadt ist da
Und unsere Sen und Sens
Die liegt in Saratow
Herunter von dem Schiff
Man wird euch Örter zeigen
Wo Korn und Mesler Feld
Auch Äpfel, Quetschen Feigen.
61.
Vor wild auf Feldern wächst
Denkt nur ans Paradies
Ich glaub kaum Gersten Gritz
Viel weniger noch Reis
Doch tröst euch mit Geduld
Und lasst die Hoffnung grünen
Seht frei und fröhlich aus
Macht auch nicht böse Mienen
62.
Ob schon das Herze weint
So lächelt doch der Mund
Ihr krieget Land und Sand
In einer Viertel Stund
Ihr Bauern tretet aus
Man ruft euch Kolonisten
Hier gilt kein Bürger nicht
Und auch kein Profissionisten.
63.
Kein Adel Charakter
Kein Amtrecht kein Offizier
Ihr müßt nun Bauern seyn
Da ist kein Rath dafür
O weh was sagt mein Herz
Was quälen mir Gedanken
Wie viele sah ich krank
Ja gar auch sterbens Kranke.
64.
Ich dachte hin und her
Soll ich ein Bauer seyn
Da schlage Pulver Blei
Und alle Flam hinein
Nun wurden wir vertheilt
Als wie in Noahs Kasten
Wer nichts zu fressen hat
Bereite sich zum Fasten.
65.
Doch wer nur fleißig ist
Und keine Faulheit übt
So lebt der Vater noch
Der uns zur Nahrung giebt
Nun lebet alle wohl
Ihr Kolonisten Brüder
Das Freuden Lied ist aus
Jetzt mach ich Trauer Lieder.
66.
Man hat aus mir Offizier
Ein Prozepter gemacht
Bleibt jetzo all gesund
Ich sage gute Nacht
Nun hieß es weg von Schiff
Man wird euch Örter zeigen
Jetzt seyd ihr Mann vor Mann
So gut als wie Leibeigen.
67.
Da habt ihr euren Fleck
Nun schafft euch euer Brot
Arbeiten müsset ihr
So lang bis in dem Tod
Und wenn ihr gnug geschafft
So ist es denn vollendet
Dann heißt es große Noth
Viel Arbeit wenig Brot.


            David Kufeld

       Ein Wort zum <<Lied vom Küster Deis>>


Mann kann dieses Werk mit Fug und Recht als ein Versepos bezeichnen. Es ist dem leidvollen Wege, der Geschichte, dem Leben und Schaffen der Deutschen Kolonisten zu ihrer 150. Jahresfeier ihrer Ankunft an der Wolga gewidmet. Der Autor des >>Liedes vom Küster Deis<<, David Kufeld, war viele Jahre als Lehrer im Bezirk Nowousensk an der Wolga tätig. Er kannte die Kolonisten, ihr Leben und Wirken, ihren Dornenweg im fremden Lande, wie nur wenige vor und nach ihm. Das schwere Schicksal der Deutschen in Russland lag dem Autor am Herzen; Hingabe und Liebe, ungeteilte Anteilnahme an dem schweren Los der Kolonisten spricht aus seinen Zeilen. Für David Kufeld war das Leben der Kolonisten keine Geschichte; für ihn war das ein Stück gelebter Wirklichkeit. Aus seinen Briefen und Erinnerungen geht hervor, dass er in die beneidenswerten Lage war, sich noch mit vielen Augenzeugen aus der jüngster Vergangenheit über das, worüber er schrieb, zu unterhalten. Seine Großeltern waren mit ihren Erlebnissen und Erzählungen ihrer Vorfahren ein lebendiges Buch von Belegen für sein Werk. >>Das Lied vom Küster Deis<< ist eine wahre Fundgrube für den Geschichtsschreiber und Folkloristen, für den Wissenschaftler und Forscher, für den Laien und jeden, der sich für Wesen, Wirken und Vergangenheit der deutschen Kolonisten in Russland interessiert. Wir sehen die Menschen hier, wie sie arbeiten und fasten, wie sie singen und tanzen; wir sehen sie in Freud’ und Leid – in ihrem Alltag, wie er sich in seinem Auf und Ab jeweils ergab.
Und es ist ein Glücksfall, dass dieses Werk von David Kufeld uns erhalten geblieben ist.


         Das Lied vom Küster Deis

       Beitrag zu unserem 150 jährigen Jubiläum
                                         1764-1914

                        I. Kapitel
                                           Märchenwelt

1
Weit, weit in der Stepp, wo Eulen
Wilde schreien, Wölfe heulen,
Kalter Sturm die Leute schreckt,
Und ein Silbermeer im Winter
Glitzernd Hütt’ und Steppe deckt;
2
Wo bei Sturm die 1 Herren toben,
Auf dem Kirchturm tanzen oben,
Reisende vom Wege führ’n,
Pferde in den Ställen reiten,
Klopfen wütend an den Tür’n;
3
Die Vampir’ mit grünen Augen
An den jungen Müttern saugen,
Und der Alp die Männer drückt,
Und die alten Weiber brauchen,
Wenn ein Wiegenkind erstick.
4
Zwischen elf und zwölf die bleichen
Toten aus den Gräbern steigen,
Schüchtern durch die Gassen geh’n,
Sachte in die Höfe schleichen,
Winkend vor den Fenstern steh’n;
5
Wo im Frühling aller Farben
Tulpen, überschüt’t mit Garben
Goldner Strahlen, leuchtend blüh’n,
Bunte Schmetterlinge flattern,
Kraniche durch Lüfte zieh’n;
6
Lerchen trillern, Adler schweben,
Riesenspinnen Netze weben,
Wirbelwind das Feld behert,
Herrenkraut und Bärenklaue,
Ziegenbart und Fuchsschwanz wächst;

7
Aus den fernen Wolgawiesen
Abends wehen milde Brisen,
In den Sumpf das Irrlicht winkt,
Die Rohrtrommel hohl erschallet,
Und im Gras der Glühwurm blinkt;
8
Viele Wundertönen klingen,
Laute Nachtigallen singen,
Schmachtend, in sich selbst verliebt,
Und verliebt in Nacht und Sterne
Schönere es nirgends gibt;
9
Wo die Träume sich erfüllen,
Was passieren wird enthüllen...
Dort in jener Märchenwelt
War in einem deutschen Dörflein
Deis als Küster angestellt.

                       II.Kapitel
                      Das Dörflein Neuruslan, dessen Einwohner
                                      und der Küster Dies
1
Gottesfürchtige, gescheite,
Brave, bottmässige Leute
Gründeten am Jeruslan
Dieses erste deutsche Dörflein,
Und sie nannten’s Neuruslan.

2
Klein war’s Dörflein:nur zwei Straßen,
Deis und alte Männer saßen
Sommers abends vor der Tor,
Und sie sprachen von Jehova
Und vom Kaiser und Pastor.
3
Und bewunderten die Sterne
Und den Mond am Himmel ferne,
Der regiert die stille Nacht,
Wie die ganze Welt erschaffen
Wunderbar, voll Wunderpracht!...
4
Und von andern hohen Dingen
Sprachen sie... Doch wiederbringen
Alle Reden kann man nicht:
Glücklich, die da schauten Deis von
Angesicht zu Angesicht.
5
Gottvertraulicher als heute
Waren damals auch die Leute:
Lebten sorgenlos und froh,
Schön geweißt war’n ihre Hütten
Und gedeckt mit warmem Stroh.
6
Seelenpärchen, auserkoren,
Zu gebären just geboren,
Splitterchen der Ewigkeit,
Sie vibrieren wie die Äther,
Füllen die Unendlichkeit.
7
Um den andern lieben Morgen
Machten sie sich wenig Sorgen:
Säeland hatten sie genug,
Jeder pflügte, wo er wollte
Mit dem selbstgemachtem Pflug.
8
Doch geschah dies nie in Eile!
„Eile, sprachen sie, mit Weile“;
Ackerten bis Ende Mai,
Und, erst wenn der Winter drohe,
Machten sie ihr Steppenheu.
9
Selten, selten nur passierte,
Dass die Sommersaat fallierte:
Fruchtbar war das Land ja sehr,
Und der Ziegenbart schlug Wellen,
Schien von Ferne wie ein Meer!
10
Aber doch zu jener Zeiten
Gab es Schulden bei den Leuten:
Jedes Frühjahr wurd geborgt
Und gemeinschaftlich für Samen,
Futter und für Brot gesorgt.
11
Lange Jahre später mussten
Ihre Enkel, die nicht wussten,
Wie entstanden war die Schuld,
Viele Tausende bezahlen...
Doch sie taten’s mit Geduld

                         III. Kapitel
                Die Beamten von Neuruslan
1
Dorfschulz war der alte Schrepper,
Kirchenvorsteh’r Glitsche Schepper
Und der glatte Himmelstab,
Sotnik war der dicke Fedka
Und Desjatnik Derrmauls Jab,
2
Richter war der Zickepenner,
Lauter hochgeehrte Männer!
Ehre dem die Ehr’ gebührt,
Doch am meisten unter allen
War der Küster estimiert.
3
Weit und breit durch seine Reden,
Durch sein wundervolles Beten
War der Küster Deis bekannt;
Lebend, nahm er zu an Weisheit,
Starb, beweint vom ganzen Land.


                        IV. Kapitel
          Die Ämter und Talente des Küsters Deis.
1
Wenn ich nur beschreiben könnte
Alle Ämter und Talente,
Die der Küster Deis besaß,
Aufsperr’n würde wohl mein werter
Leser staunend Mund und Nas!
2
Gibt’s ein Amt des Küsters schwerer?
Deis war Küster, Kantor, Lehrer,
Organist und Sekretär,
Regent, Archivar und Feldscher,
Glockenläuter und noch mehr!...
3
Himmlisch schön war seine Stimme,
Deischens laute, mächt’ge Stimme!
Wohl ein Wunder der Natur:
Alle Stimme konnt’ er singen,
Alle Lieder nach der Schnur!
4
Wenn er betete um Regen,
Aus den Wolken quoll der Segen!
War’n die Leut’ den Regen müd’,
Oder wollten Lehmstein trocknen,
Dann sang er ein andres Lied.
5
Manches hat er selbst gedichtet,
Doch die Werke sind vernichtet
Und verweht vom Steppenwind...
Wie viel teure Manuskripte
Uns schon so verloren sind!
6
Deischen glaubte nicht ans Brauchen
Und an Teufelsknittel rauchen,
Doch Gespenster trieb er aus:
Hat dem Glitsche Schepper einmal
Reneviert sein ganzes Haus!
7
Stammbäum’ malen, komponieren,
Wandkalender ausklugieren
Konnt er auch, ob denkt euch nur!
Ja, das war ein Mann! Und dennoch
War er groß nicht von Statur:
8
Klein und fein, ein dürres Hälschen,
Hitzig wie ein Schwefelhölzchen,
Doch von jedermann geehrt,
Und die Kinder in der Schule
Strenge hat er sie gelehrt.
9
Von Natur war Deis nicht böse,
Herzensgut und liebte Späße,
Freundlich mit dem ärmsten Wicht.
Nur ein einz’ger war im Dorfe,
Den der Küster liebte nicht.
10
Sonst liebt’ Deischen alle Leute,
Und der einz’ge, den er scheute,
Weil er lästerte gemein,
War der reiche Zelowalnik,
Grotzkopfs listiger Rafain.
11
Diesen Mann konnt’ Deis nicht leiden,
Gab sich Mühe ihn zu meiden:
Sah, wie er die Leut’ betrog,
Stets sie suchte auszubeuten
Und zum Saufen oft bewog.
12
Letzt’res machte Deis viel Schmerzen,
Doch wie freut’ er sich von Herzen,
Wenn er hörte, dass in Ort
Viel die Schenke boykotieren,
Aufgekläret durch sein Wort.

13
Solche ließ er grüßend kommen
Und, sehr freundlich aufgenommen,
Lehrte sie, dass Geld und Gut
Des so reichen Zelowalniks
Auf der Not der Trinker ruht,
14
Die Rabat, ein Stück der Hölle
Sei und aller Laster Quelle,
Der Rafain dem Mammon dient,
Und als solcher Höllendiener,
Auch die Hölle einst verdient.
15
Und begann in Schreckensbildern
Alle Höllenqual’n zu schildern
Und des Teufels Macht und List,
Und wie grässlich, und wie hässlich,
Und wie grausam Satan ist!
16
Allen Männern und den Frauen
Kam bei seiner Red’ ein Grauen
Und erblassten wie die Wand;
Sie bekehrten sich und drückten
Dankend Deichens treue Hand.
17
Allen wünscht’ er Gottes Segen
Auf ihr’n sittlich keuschen Wegen
Und erklärte freundlich wie
Mit dem Satan man muss kämpfen,
Und begeisterte stets sie.
18
Ferner machte ihm noch Sorgen,
Wenn er sah die Leute borgen
Bei dem geizigem Rafain
Schlechte Ware und noch zahlen
Dreißig Prozent obendrein.
19
Väterlich riet er den Leuten
Sich nicht lassen auszubeuten:
„Liebe Kinder, seid ihr dumm
Solche Höllenzins zu zahlen,
Gründet euch doch ein’n Konsum;
20
Soll der Wuch’rer sich des rühmen,
Was ihr selber könnt verdienen?
Herbst’s Zeit habt ihr genug,
Um euch gute War’ zu kaufen
In der Stadt ohn’ Lug und Trug;
21
Sonst bleibt ihr des Wuch’rers Beute.“
Leichter atmeten die Leute,
Aufgeklärt durch Deis’ Verstand,
Sannen ernster nach und drückten
Dankend Deichens treue Hand.
22
Und auch diesen wünscht er Segen
Auf ihr’n wirtschaftlichen Wegen
Und erklärte freundlich wie
Man muss einrichten die Sache
Und ermutigte stets sie.


                                          V. Kapitel
                            Deichens Unterricht in der Schule.
1
Kinder liebte Deis von Herzen,
Liebte manchmal auch zu scherzen,
Wenn die kleine waren müd’,
Um die Schüler aufzuheitern,
Sang er manches schöne Lied.
2
Auch wurd’ s Einmaleins gesungen
Und getrallert mit den Zungen,
Lustig sangen sie, und wer’s
Konnt am besten, der kam raus; am
Schönsten klang der sechste Vers.
3
Unaussprechlich war die Freude
Dann, wenn Deischen mit der Weide
Schlug laut an das A-B-C:
Aller Kinder Augen strahlten,
Seufzer stiegen in die Höh’!
4
Stimmlein frisch wie Frühlingstöne
Klangen froh, und Deischens schöne
Stimme sang so leise nach,
Stieg hinauf und fiel dann wieder
Tief herab wie Wellenschlag.
5
Draußen heulte laut der Winter,
Jubelnd klang der Chor der Kinder,
Achten nicht auf Sturm und Schnee.
Und sie sangen froh und heiter:
A b c d e f g!...
6
“Feder schneiden, Tinte rühren,
Buchstabieren, sillabieren,
Lieber möcht’ ich Kuhhirt sein,
Winters wär ich frei,“ stieß Deischen
In das A-B-C hinein.
7
„Wer das A konnt ausewendig,
Musst es lernen innewendig...„
Lieber Himmel, war das schwer!
Und genau betrachtet wurde
Jeder Buchstab’ strack und quer:
8
R hat auf dem Kopf ein Kränzchen,
Q das macht ein krumes Schwänzchen
Und ist schöner als das O,
J hat einen spitzen Schnabel,
Wer das Z konnt, der war froh!

9
Schwerer noch war’s Buchstabieren:
Deischen ließ die Finger führen;
Alle standen vor’m Altar
Krumm in einem großen Kreise,
Buchstabierten sieben Jahr:
10
We-a-es, Was! I es te, ist!
De-a es, das ! I es- te, Ist!
Es- pe er-a-ce-ha, sprach!
Deischen klopfte, und die Kinder
Buchstabieren schaukelnd nach.
11
„Hirr dr! ’s Piffercha macht Etka
Und der Hipper macht Plesetka!“
Gab am Ofen einer an;
Deischen nahm da feine Rute,
Beide waren übel dran.
12
Ü-ü, be-e-er, ber, über!
A-a be-e-er, ber, aber!
Buchstabierte weiter Deis,
Wischte sich mit feinem Schnupftuch
Von der Stirne dicken Schweiß.
13
In dem A-Buch war ein Gickel,
Und der Gickel las ein Stückel
Wunderschön: „Kikiriki!“
Deischens A-Buch ist verschwunden,
Unsers fängt jetzt an mit „i“!...
14
Doch das schönste in der Schule
War, wenn Deischen auf dem Stuhle
Hinter’m Tisch im Altar saß,
Und mit Tränen in den Augen
Verse aus der Bibel las.
15
Oh, welch’ Worte konnt er wählen!
Und wie int’ressant erzählen
Von dem schönen Paradies,
Wo die schönsten Früchte reifen,
Blumen blühten frisch und süß,
16
Wunderbare Vögel sangen,
Aber - wo es gab auch Schlangen,
Und die Eva ward verführt,
Und, weil sie nicht hört’ und folgte,
Aus dem Garten ward geführt.
17
Wie seitdem die Leut’ auf Erden
Sündhaft all’ geboren werden,
Unglücklich sind überall,
Arbeiten und sterben müssen
Durch den ersten Sündenfall;
18
Und wie dann der liebe Heiland
Auf die Erd’ kam tröstend, heilend,
Wie Er für die Menschen starb
Und mit Seinem Blut am Kreuze
Uns das Himmelreich erwarb;
19
Wie im goldnen Himmelsgarten
Jetzt die holden Englein warten
Auf ein jedes braves Kind,
Und welch himmlisch schöne Gaben
Droben zubereitet sind!
20
Oh, wie tief fiel jedes Wörtlein
In der Kinder reine Herzlein!
Und wie stille saßen sie
Seufzend horchend, selig schwimmend
Hoch in heil’ger Poesie!

                  VI. Kapitel
                    Deischen’s Liebe zu seinen Amtsbrüder
1
Menschen sind dann echte Brüder,
Wenn ihr’ Herzen und Gemüter
Eine heil’ge Kraft verbind’t
Und, in Harmonie vibrierend,
Eines Ganzen Teilchen sind.
2
Unaussprechlich war die Liebe
Und die zarten Herzenstriebe,
Die Deis zu den Küstern nährt’ -
Einen teuren Amtsgenossen,
Die unendlich ihn geehrt.
3
Liebten sich, weil sie sich kannten,
Sich so wunderbar verstanden,
Oft mit einem halben Wort;
Duzen sich die rechte Brüder...
Und die Kunst, das war ihr Sport.
4
Musizierten, komponierten,
Dichteten, philosophierten,
Haben Sirach gern zitiert,
Und den „Dada mit der Peif“ und
Ihren Pfaffen fein kopiert.
5
Welche Witze konnt’n sie machen,
Und wie ließen sie sich lachen!
Pfiffen wie die Nachtigall...
Aber gleich, wenn kam ein Fremder,
Saßen still und ernst sie all.
6
Doch die treuen Amtsgenossen
Haben Tränen auch vergossen...
Oh, wie wurden sie gedrückt
Unbarmherzig!... Jeder andre
Wär’ in ihrem Joch erstickt.

7
Aber treu sind sie geblieben,
Fest und treu stets ihrem lieben
Volk, Beruf und Bruderpflicht!
Und wie unsre glatten Heuchler
Flohen in die Stadt sie nicht...


                                       VII. Kapitel
Die Geschichte der Neuruslaner, das Leiden ihrer Väter    in den ersten Jahren nach der Ankunft 14 Juni 1764
1
Der Ruslaner Väter waren
Auch vor hundertfünfzig Jahren
Aus Europa emigriert,
Hatten sich laut Manifeste
An der Wolga etabliert.
2
Lange hatten sie zu leiden
Von den Horden roher Heiden.
Wild sah’s an der Wolga aus:
Finst’re Wälder, Fiebersümpfe,
Weit und breit kein Dorf, kein Haus!
3
Diebe irrten in den Feldern,
Blut’ge Räuber in den Wäldern,
In der Steppe der Kirgis,
Pugatschew und andre Feinde,
Niemand sie gedeihen ließ.
4
Wölfe heulten nah und ferne;
Traurig schimmerten die Sterne
Durch die Wolken in der Nacht...
Betend weinten junge Mütter,
Und die Männer hielten Wacht.
5
Heulend kam der kalte Winter;
Es erfroren Wiegenkinder,
Größte jammerten um Brot, -
An den Brüsten ihrer Mütter
Starben sie vor Hungersnot.
6
Die enttäuschten armen Brüder
Wollten heim nach Deutschland wieder,
Alle wär’n zurückgekehrt,
Doch verraten von Pastoren,
Ward es ihnen nicht gewährt.
VIII. Kapitel
Das Kontor und die Pastoren.
1
Willkür herrschte im Kontore!
Die Beamten und Pastoren
Hausten frech zu jener zeit,
Doch die braven Bauern glaubten
An der Pfaffen Heiligkeit.
2
Und die Herren vom Kontore
Inspektoren und Pastoren
Säeten zu der Sklavenzeit
Finsternis und Aberglaube,
Üble Heuchlerfrömmigkeit;
3
Manche haben auch gelogen,
Die Gemeinden schlau betrogen,
Aber welches „Schäflein“ wagt
Seinem „Hirten“ nicht zu glauben?
„Der Herr Pastor hat’s gesagt!“
4
Hochmütig war die Geberde
„Christi Diener auf der Erde“
Damals, frech und ohne Scheu...
Nur die armen Küster blieben
Unsre Freunde lieb und treu.
5
Heilig schimmern ihre Namen,
Und der bruderliebe Samen,
Den sie liebend ausgestreut,
Der gedeihe, wachse, blühe
In den Herzen aller Leut’!
6
Die Historiker und Dichter
Sind der Menschen letzte Richter,
Unparteilich ihr Gericht,
Böse, wie die gute Taten
Bringen sie an Tages Licht.
7
Und verdammt, verflucht auf Erden
Werden die Verräter werden;
Hochgerühmt doch jedermann,
Ewig heilig dessen Name,
Der für’s Volk was Gut’s getan!

                                        IX. Kapitel
                     Die Schreckenstage zu Mariental.
                              15. August 1776.
1
Aus der Stepp’ in wilden Scharen
Kamen blutige Barbaren,
Überfielen Mariental...
Aus der Hand fällt mir der Feder:
Unbeschreiblich Mord und Qual!
2
Zitternd betete und weinte
Hände ringend die Gemeinde
Laut vor Qual und Mörderhohn:
Steh uns bei, o Mutter Gottes,
Und sei unser Schutzpatron!
3
Todeshauch umhüllt’ den Himmel,
Schrecklich war das Mordgetümmel,
Teuflisch war der Räuber Wut, -
Hunde heulen, Fenster klirren,
An die Wände spritzt das Blut!
4
Müttern jammern, Kindern wimmern,
In den Straßen, Höfen, Zimmern
Fließt das Blut und Herrscht der Tod!
In den Brunnen und im Karman
Ward das Wasser dunkelrot!
5
Viele hatten sich verkrochen,
Doch sie wurden auch erstochen,
Mancher hatt’ sich brav gewehrt,
Die noch lebten war’n Gefang’ne,
Ganz Mariental zerstört!
6
Traurig blöckten Schafe, Lämmer,
Bitter weinten Mutter, Männer,
In die Stepp’ durch’s öde Tal
Trieben die Barbaren peitschend
Mensch und Vieh zur neuen Qual.
7
Kinder, die nicht konnten folgen,
Haben sie durchbohrt mit Dolchen
Und dem Steppengei’r zum Fraß
An dem Wege hingeschleudert,
Wimmernd, blutend auf das Gras...
8
Unaussprechlich alle Plagen!
Weinen, beten, stöhnen, klagen
War barbarisch untersagt:
Knuten schwirrten auf den Rücken,
Wen ein Herz zu seufzen wagt’.
9
Erfurt haben sie Knochen
Am lebed’gen Leib gebrochen,
Stachen ihm die Augen aus,
Schnitten „Riemen“ aus den Rücken,
Schnitten ihm die Zunge raus...
10
Aus dem Händen der Barbaren
Retteten sie die Husaren,
Nachgeschickt zur rechten zeit;
Aber wer beschreibt die Freude
Der Geretteten und Leid,
11
Der Verwaisten Tränen, Klagen?!
Toten brachte man zwei Wagen
Aus der blut’gen Steppe heim!...
Auf dem Platz, wo sie beerdigt,
Liegt noch heut’ der Trauerstein.
12
Viele waren ganz verschwunden,
Und man hat sie nie gefunden...
Nur drei Männer kam’n zurück,
Einer hieß Kirgisenmichel,
Märchenhaft war sein Geschick...
13
Doch darüber ist erschienen,
Über’s Schicksal dieses kühnen
Michels auch ein Büchelein,
Das wir öfter schon gelesen
Haben alle groß und klein.
14
Also kämpften unsre Väter;
Sich vermehrend, drang’n sie später
In den Stepp gen Jeruslan,
Gründeten dort neue Dörfer,
Unter andern Neuruslan.


                                      X. Kapitel
                               Die Kirgisen in Neuruslan.
                                     1.Mai 1841.
1
Auf dem Dach stand einmal Deischen,
Flickte was am Küsterhäuschen;
’s war im schönen Monat Mai,

Duftend dehnten sich ums Dörfchen

Aus der grüne Stepe frei.
2
Millionen Stimmen klangen
Aus den Halmen und es sangen
Trillernd Lerchen in der Luft

Jedes Blümelein verbreit’te,

Liebe flüsternd, süßen Duft.
3
In den Gärtchen, hinter Zäunchen,
Blüten junge Kirschenbäumchen,
Auf das frische zarte Laub
Goss die helle Frühlingssonne
Feur’gen Diamantenstaub.
4
Deischen sang. Er sah mit Freuden
Hinter’m Dorf die Herde weiden,
Einen alten Fuchs gespannt,
Jubelnd spielten seine Kinder
Barfuss auf dem Hof im Sand.
5
Guten Morgen, Heinevetter!
Ai-ja-jai, was schönes Wetter!
Rief Deis freundlich; jeden Mann,
Den er nah und fern erblickte,
Sprach er grüßend höflich an.
6
Es ist eine wahre Wonne,
Fuhr er fort: wie strahlt die Sonne!
Ai-ja-jai, sie meint es gut;
Gottes Gnade ist die Sonne,
Und sie reinigt Leib und Blut
7
Ja, mr hun jez schönes Wetter,
Gab sich ins Gespräch der Vetter
Und er schielte in die Höh’,
Stopfte seine Pfeif’ und sagte,
Das er geh’ an „die derr See“.
8
Auf dem Kirchplatz grasten Schweine:
Rote, schwarze, große, kleine...
Und zwölf Ferkel mit der Sau;
Weiter unten, hinterm Zaune,
Krächzte eine alte Frau.
9
- Wem gehören jene Schweine?
Fragte Deis den Vetter Heine.
Set Sai sei’m Rafai’ sei’ Sai,
Sell Sai, wart wem söll sell sei’? Aach
Sell Sai könnte sei’ Sai sei’.
10
- Ist es wahr, die Leute sagen,
Ihre Alte tät sich klagen?
Hat sie nicht die Mutterplag?
- Hitze hot se; saht se, hätt se,
Schwitze, koze tut se aach...
11
Wunsche Sie wol, dass ich bete
Für die Wes Kathrinmargrete?
- Bitt euch: glab se hot die Ruhr:
Lameliern tut se un jemern
Tag un Nacht in aner Dur!
12
Seufzend ging der alte weiter,
Deischen rückte seine Leiter
Näher nach der Straße hin,
Traurig ward er, denn die Kranke
Kam ihm nicht mehr aus dem Sinn.
13
Plötzlich rief er seine Jungen,
Blitzschnell kamen zwei gesprungen.
Kinder, sprach er: geht mal schnell
Zu der alt Kathrinmargrete,
Bringt ihr Tee und Pipernell.
14
Kaum war’s letzte Wort verklungen,
Sind auch beide schon gesprungen;
Satzten mutig in die Höh’,
Und sie brachten schnell der Kranken
Pipernell und guten Tee.
15
In den Mistbeet kriegten Spatzen.
Zwei verzupfte graue Katzen
Saßen auf dem Stangentor,
Und sie wuschen sich die Fratzen,
Eine auch das linke Ohr.
16
Deischen scheuchte fort die Spatzen
Und beobacht’te die Katzen.
Du, rief er: heut gibt’s Besuch,
Und die Gäste müssen kommen
Ganz bestimmt vom schwarzen Bruch.
17
Gäst’ empfing der Küster gerne,
Und er schaute in die Ferne
Aufmerksam nach Sonnaufgang;
Lange schaute er; vom Brunnen
Kam ein junges Weib und sang.
18
Als der Küster sie erblickte,
Grüßte er sie froh und nickte
Mit dem Kopf. In seinem Sinn
Dachte er, zwei volle Eimer
Das bedeutet oft Gewinn.
19
Und das Weibchen mit den Eimern
Trat zum Küster. Von Zigeunern,
Sagte, hätte sie geträumt
Und von vielen, vielen Wölfen
Und vor Angst im Traum geweint.
20
Doch, was mag der Traum bedeuten?
Deischen konnte Träume deuten.
Alle Träume sind von Gott,
Sprach er: und der Wölf’ bedeuten
Große Angst und viel Klapott.

21
- Aber bitte, die Zigeuner?
Wie viel war’n’s? Wohl mehr als einer?
Zweie nur, der eine scheel.
Das bedeuten Musikanten,
So erfüllt’s sich, liebe Seel’!
22
Überzeugt ging Ambet weiter,
Deis sang wieder froh und heiter,
Plötzlich rief er: meine Treu,
Glaub’, dort kommen die Kirgisen!
Flink die grasse Millis bei!
23
- Möglich sein’s die schlechte Geister,
Sagte Millis, Herr Schulmeister:
Schwach sei’ aach ma Aaga schun,
Schickt doch mol noch Wostra Glaser
Bettja, dui, die hun ka Hun!
24
In die Stepp’ guckt Wostra Glasser,
In die Augen schoss ihm’s Wasser,
Plötzlich schrie er: „Ach Herr Jes!
Tausend schockmillion Kirgiser!
Sterwa müß mr Millis Wes!
25
Deischen ließ zusammenläuten,
Um zu melden allen Leuten
Von der drohender Gefahr,
Denn auch er sah jetzt ganz deutlich,
Das der Feind schon nahe war.
26
Und es eilten alle Leute
In das neue Schulgebäude
Aufgeregt. Der Schepper schrie:
Langsam, ihr dort, laaft manierlich,
Rennt net, wie das wilde Vieh!
27
In dem Schulhaus knieten nieder
Alle fromm und sangen Lieder
Oh, wie sang der Küster schön!
Plötzlich kamen die Kirgisen
An die Tür- und blieben steh’n.
28
Stehen blieben die Kirgisen
Wie erstarrt mit ihren Spießen;
So etwas, wie Deischen sang,
Hatten sie noch nie gehöret,
Waren ganz entzückt vom Klang,
29
Von der Macht der schönen Lieder!
Höfflich gingen alle wieder
Sachtig naus und machten zu
Leise hinter sich die Türen,
Ließen Neuruslan in Ruh’.
30
Deischen sprach: Ihr lieben Brüder,
Offenbart hat Gott sich wieder
Bei uns heut als treuer Hirt,
Und uns Schäfelein gerettet,
In der wilden Stepp verirrt.


                                     XI. Kapitel
                              Das Freudenfest.
1
Unaussprechlich war die Freude
Und die Dankbarkeit der Leute:
Manche schenkten Deischen Wurst,
Andre brachten dünne Kuchen,
Fedka sorgte für den Durst.
2
Reich war’n aller Leute Gaben,
Leib und Seele konnt’ sich laben,
Schrecklich lang nur ließ sie Deis
Mit den vielen Beten warten,
Fedka leckt vor durst den Schweiß.
3
Endlich sprach der Küster: Amen.
Esst und trinkt in Gottes Namen.
Auf dem Tisch stand Supp und Brei.
Alle saßen nach dem Alter
An dem Tisch in langer Reih’.
4
Langsam kauen sie und blasen,
Viele kriegen Rote Nasen;
Fedka macht mitunter Spaß
Und gastiert die Säft mit Brandwein;
Viele nippen erst ans Glas.
5
- Trink’s doch aus! Empört sich Fedka:
Guckt nor, die was ser Etka!
Schrepper trank seins immer lehr,
„Steht in guter Hand,“ sprach Berwel,
Fedka dankte für die Ehr:
6
„G’sundheit! Rief er. Glück un Sega!
Seele bück dich: ‘s kommt ‘n Rega!”
Und er stülpte ’s Gläschen um,
Alle lachten und der Fedka
Schenkte lustig weiter ’rum.
7
Leichter ward’s auf ihren Lungen,
Und der Weiber lange Zungen
Wurden weicher nach und nach;
Nach viel tiefes, schweres Seufzen
Eine zu der andern sprach:

8
- Gest Nacht stunne vor ma Fenster
Zwei abscheuliche Gespenster!
- Un bei Glitsche hot’s gespuckt...
- Wisst ihr schun, dass Dermauls Scherch sich
On den Vollmond hot verguckt?

9
Von Politik spricht der Küster:
- England hat jetzt zwölf Minister...
- Zwölf Minister! Guckt nur do!
- Un in Russland is nor aner?...
- Ja, die Sache sei’ halt so.
10
- Liewer aner, as wie kaner!
- Un was hört mr vum Japaner?
- Der Japaner liebe Leut,
Wird wohl Russland einst besiegen...
- Aus is die Gerechtigkeit!
11
- Glab, die Welt, se geht bald unner?
- For mich wär’s aach gar ka Wunner:
Schlaht nor in die Bibel nach:
An die Römer steht geschriewa:
„Un He antwort’te un sproch...“
12
- Un was schreibt jetz der Kalenner?
- Regenwetter, liebe Männer...
- Hör mol, Fedka, du Filu,
Mach das Rockvieh net besoffa,
Horch dem Schulmeister mit zu!
13
Doch das „Rockvieh“ ist schon selig;
Singen „Hosianna“ fröhlich,
Die alt Ziert, die singt “Tenor“!
Ihre lauten Stimmen klingen
Laut wie ein Soldatenchor.
14
Fedka holte Musikanten
Den berümten, weitbekannten
Schnerrpatsch und den scheelen Lusch.
Ins Zimbal warf Fedka mutig
Neun Kopie und sang ’en Tusch.
15
Nach ihm sangen andre Männer,
Lauter auserlesne Sänger!
Und jetzt ging das Tanzen los:
Jeder pfiff sich seine Dame
Oder gab ihr einen Stoß!...
16
Lustig trappeln sie und schreien,
Pfeifen, tanzen ihr drei Reihen,
Schüttern tut das ganze Haus,
Und sie schweißen, dass sie mussten
Ziehen ihr Wamskofta aus.
17
Deis blieb nüchtern nur alleine,
Denn Getränke trank er keine,
Niemals Schnaps, auch keinen Wein.
Lies die Gäste jubeln, toben,
Philosophisch sah er drein.
18
Und die Gäste tanzen weiter;
Menschenwellen wogen heiter
In des Schleifers wildem Kreis.
Und der Boden stöhnt und zittert,
Und zu Qualm wird heißer Schweiß.
19
Und die nassen Wände beben!
Schnerrpatsch spielt auf Tod und Leben,
Lusch schlägt tapfer auf den Stahl, -
Und die laute Geige wirbelt,
Und es schmettert das Zimbal.
20
Millis schwänzelt und der Fedka,
Himmel, macht der Kerl Plesetka!
Glitsche Schepper tanzt verkehrt, -
Berwel hat ihn umgestoßen,
Alle flogen auf die Erd!
21
Und sie quickern, kichern, lachen,
Und die Tisch und Bänke krachen.
„Jesses, das geht kontra her,
Schrie der Schrepper: hör mol, Schrepper,
Tanz net immer kreuz und quer!“
22
Und ’s Pläsier beginnt von neuem,
Alle stellen sich in Reihen,
Und der Schnerrpatsch, und der Lusch
Spielen ihrer Väter alten
Und schon halbvergessnen Tusch:
23
„Aus der schönen Schweiz, aus Schweden,
Aus den schönsten deutschen Städten
Und aus Frankreich emigriert,
Haben sich am Wolgastrome
Unsre Väter etabliert.
24
Alle wurden Kolonisten,
Jäger, Künstler, Bauern, Fürsten
Gründeten ein neues Reich,
Schweden, Deutsche und Franzosen
Wurden Brüder – alle gleich.
25
Brüder woll’n wir ewig bleiben,
Selbst der Tod soll uns nicht scheiden,
Stirbt der Leib, es lebt der Geist!
Fest und treu in allen Zeiten,
Lustig wenn es lustig heißt!.
26
Schönheit, Poesie und Liebe
Nähern zarte Geistestriebe,
Und der Wein erfreut das Herz,
Frohe Lieder, liebe Brüder,
Jagen Leid und lindern Schmerz.

27
Darum trinkt und singt heut Brüder,
Trinkt und füllt die Gläser wieder
Alle voll mit süßem Wein!
Immer lustig, immer durstig,
Glücklich lasst uns heute sein!
28
Ehrlichkeit, die helle Sonne,
Treue Liebe – süße Wonne,
Einigkeit bleib unsre Kraft,
Ewig heilig unser Wahlspruch:
Freiheit, Gleichheit, Brüderschaft!“
29
Wieder hat der Tanz begonnen,
Fedka hat die Dick genommen
Und der Schrepper die alt Ziert,
Dermauls Jab tanzt mit der Berwel,
Glitsche Schepper balanciert.
30
Und sie tanzen lustig weiter;
Menschenwellen wogen heiter
In des Schleifers wildem Kreis.
Und der Boden raucht und glühet,
Von der Decke tropft der Schweiß.
31
Und die nassen Wände tränen,
Beben, dröhnen, zittern, stöhnen,
Jubellärm steigt aus dem Tal,
Und die laute Geige wirbelt,
Und es schmettert das Zimbal!
32
Deis sang leise Gotteslieder:
„Blick in Gnaden auf uns nieder,“
„Christus unser Schutz und Hort“...
Plötzlich, als es 11 geschlagen:
„Unsern Ausgang segne Gott!“
33
Und es gingen fort die Gäste,
Dankten vielmal noch aufs beste
Deischen für die Lieb’ und Treu’
Und entfernten sich im Dunkeln,
Durch die Kreuzgass etwas scheu...

                                        XII. Kapitel
                       Der Küster allein mit seiner Familie.
1
Deischens Weib machte die Betten,
Wusch und legte ihre netten,
Lieben Kinderlein hinein,
Und das kleinste in der Wiege
Sang mit zarter Stimm’ sie ein:
2
„Schlaf, mein Kind, es liegt noch ferne
Alle Not und Qual,
Freundlich leuchten Mond und Sterne
Über Berg und Tal.
Fest schließt noch der süße Schlummer
Deine Äuglein zu,
Doch wie bald wird Schmerz und Kummer
Stören deine Ruh.
Gerne will ich bei dir weilen,
Kind, die ganze Nacht,
Kann ich doch mit dir schon teilen
Was mich traurig macht.
Sollte jetzt dein Vater sterben,
Schwindsucht hat er schon,
Noch kein Hüttlein wirst du erben,
Nichts, mein armer Sohn.
Nur sein gutes Herz lässt er dir,
Energie, Verstand,
Oh, das ist der schönste Schatz hier,
Kind, im ganzen Land.
Kaum 10 Jahr’ alt, musst du lernen,
Musst schon fort so klein,
Und im Lande fremden, fernen
Bleiben ganz allein.
3
Weinend werd ich dich begleiten
In die Stadt mein Glück,
Dort erst gibt’s ein schweres Scheiden
Wenn ich muss zurück.
Bitter werde ich da weinen,
Beten Tag und Nacht,
Das der treue Heiland meinen
Lieben Sohn bewacht.
Mit geb ich dir meine Bibel:
Wird’s dem Herzen bang,
Schlag sie auf: sie schützt vom Übel
Dich dein lebenslang.
Eine Kraft enthält dies Erbstück,
G’heimnisvoll ist sie,
Ist errungen durch viel Unglück,
Tränen, Kummer, Müh’.
Fleißig nur, mein Söhnchen lerne,
Leidest du auch Not,
Weinst du dir auch in der Ferne
Oft die Augen rot.
Treu dem Rufe deiner Väter
Wirst du Küster hier,
Wie du leiden wirst denn später
Sing ich weinend dir.
Küster – Lehrer wirst du werden,
Kantor – Organist,

4
Allen Menschen hier auf Erden
Stets ein treuer Christ.
Große Pflichten wirst du haben,
Schüler ohne Zahl,
Dann beginnt mit wilden Knaben
Deine große Qual.
Frei wird keine Stunde bleiben,
Arbeit Tag und Nacht:
Lehren, Sänger üben, schreiben
Über Menschenkraft!
5
Und beerdigen und taufen,
Teilen Freud und Leid,
Auf den Gottesacker laufen
In der schlecht’sten Zeit.
Quält man dich gleich einem Knechte,
Denk mein Sohn daran:
Große Pflichten, keine Rechte
Sind dir angetan...
Wenn du krank, betrübt auf Erden
Deinen Dornweg gehst,
Wenn dir nichts zum Trost kann werden,
Ganz verlassen stehst,
Deiner Mutter treue Liebe,
Kind, gedenke du,
Schlaf, mein Sohn, der Mond wird trübe,
Schließ die Äuglein zu.
Gott, der Vater, wird dich schützen
In der größten Not,
Auf sein Wort musst du dich stützen
Bis in deinen Tod.
Wenn in Todesnacht wird toben
Regen, kalter Wind,
Richte deinen Blick nach oben,
Denk an mich, mein Kind.
Schlaf, mein süßes Büblein, schlummer,
Schließ die Äuglein zu,
Kennst jetzt weder Leid noch Kummer,
Schlaf in süßer Ruh.“
6
Müde von des Tages Sorgen,
Aufregung seit frühem Morgen,
Ging die Küster’n auch zu Ruh;
Sie verlas den Abendsegen
Und schloss müd die Augen zu.
7
Deischen saß im Nebenzimmer,
Halbbeleucht’t vom Kerzenschimmer,
Sich erbaut an Gottes Wort,
Schrieb er ernste, heil’ge Worte...
Stille war’s im Haus und Ort.
8
Deischen schrie die Leichenrede
Für die alt Kathrinmargrete,
Deren letzter Wunsch es war,
Dass der Küster sie beerd’ge,
Nur der Pastor nicht, bewahr’!...
9
Und er schrieb, und schrieb mit Tränen,
Seufzte tief vor Schmerz und Sehnen,
Manchmal stand er auf ganz sacht,
Schaute durch das offne Fenster
In die schöne stille Nacht.
10
Alles schlief in süßen Träumen;
Von den weißen Kirschenbäumen
Fielen Blütenflocken ab,
Und die Sterne blickten freundlich
Aus dem Ozean herab.
11
Aus dem fernen Wolgawiesen
Wehten leise milde Brisen;
Tief versteckt im Blütenraum
Des geheimnisvollen Gärtchens
Sang ein Vögelein im Traum.
12
Zarte Blümlein, nachtumwoben,
Schauten nach dem Himmel oben,
Schmachtend durch die dunkle Nacht,
Wo die schönen hellen Sternlein
Leuchtend glüh’n in goldner Pracht.
13
Und die hellen gold’nen Sterne
Blickten strahlend aus der Ferne,
Winkten zu sich in die Höh’.
Flüsternd blüh’n die zarten Blümlein,
Wein’n vor Lieb und Liebesweh...
14
Plötzlich durch die Macht der schönen
Nacht brach Deischen aus in Tränen,
Süß erwürgt vom hei’gen Schmerz.
Zitternd schlug in seinem Brüstchen
Laut das große treue Herz.
15
„Oh, wie sollt’ ich dich nicht loben,
Schöpfer, der du thronst dort oben,
Wenn ich deine Werte seh’!“
Deischen faltete die Hände,
Schaute seufzend in die Höh.
16
Lang’ noch sann und schrieb der Küster...
Lauter wurde das Geflüster
In den duft’gen Blütenraum
Und das Lied des kleinen Vögleins,
Nun erwacht schon aus dem Traum.

17
Schon fing an der Tag zu grauen,
Es erwachten schon die Frauen,
Und der Hirt hatt’ schon geknallt,
Als der Küster ging zu Bette...
Übermüde schlief er bald.

                                     XIII. Kapitel
                           An Deischens Grabe.
1
Tod ist Deischen, doch die Leute
Denken liebend fein noch heute:
Ihm zur Ehr’ am ersten Mai
Feiern sie ein Fest alljährlich
In der Steppe frank und frei.
2
Und zu diesem großen Feste
Kommen viele, viele Gäste,
Kranke auch ’ne bunte Schar,
Denn an diesem Tag genesen
Viele Kranke jedes Jahr.
3
Lahme, Blinde, die nichts sehen,
Alte Greise, die kaum gehen,
Krumme Mütterchen am Stab,
Witwen kommen und versammeln
Sich um Deischens grünes Grab.
4
Alle haben festen Glauben
Und den lässt sich niemand rauben,
Er erquickt das kränkste Herz:
Schon ein Splitterchen vom Kreuze
Hilft vor Zahnweh, stillt den Schmerz.
5
Auf dem Grab steht eine Linde,
Grün und frisch ist Blatt und Rinde,
Und sie blüht am ersten Mai,
Niemand weiß wer sie gepflanzt hat
In der Steppe leer und frei.
6
Aus dem Grabe wuchs die Linde!
Und wer sie verletzt, tut Sünde.
Oh, das weiß wohl jedermann:
Wie viel Wunder hat die Linde
Schon in Neuruslan getan!
7
Dieser Linde Kraft und Güte
Ist in ihrer süßen Blüte,
Daraus kocht man Frühlingstee,
Wer den Frühlingstee getrunken,
Ist geheilt von allem Weh.
8
Auf der Linde schlägt am Abend
Herzerquickend, seelenladend
Laut ein kleines Vögelein,
Seine traurig süßen Töne
Dringen tief ins Herz hinein.
9
Und die traurig süßen Töne
Pressen manche heiße Träne
Aus manch krankem, armen Herz;
Himmlisch singt das zarte Vöglein,
Lindert tröstend jeden Schmerz.
10
Und es dringt mit feinem Liebe
In die Herzen Trost und Friede:
Schwachen gibt es Kraft und Mut,
Und den jungen Leute Liebe,
Treuer Liebe heil’ge Glut.
11
Über’m Grabe leuchten Sterne,
Winken in die dunkle Ferne,
Wo die lieben Englein sind,
Lazarus und Deischens Seele
Und das holde Weihnachtskind


Novousensk
Weihnachten,1913


        Dort am fernen Wolgastrome

                                   (Vaterhaus)


Dort am fernen Wolgastrome
Steht mein deutsches Vaterhaus,
Wo als Kind ich eins gewohnet
Geh`n jetzt Fremde ein und aus.
Meine Wiege stand geborgen
In dem Haus am Wolgastrand.
Mutter trug allein die Sorgen,
Seitdem Vater war verbannt.
Jede Stube, jedes Guckloch
In dem Haus war mir bekannt.
Auf dem Hof durch manches Schlupfloch,
Bin ich oftmals durchgerannt!


Es rauscht und strömt in Russlands Weiten-
Russland, du hast viel geseh’n.
Uns, Wolgadeutsche, lies man schreiten
Und wortlos dann untergeh’n.


Doch dann kam der Tag des Jammers
Und man trieb von Haus uns fort.
Jede Wand in Stub und Kammer
Küst’ ich weinend, ohne Wort.
Als wir aus dem Tore zogen
Schaut’ ich mich noch einmal um.
Hob ein Stein vom Heimatboden,
Preßte ihn an meinen Mund.
Traurig gingen wir die Straßen
Unser Heimatstadt entlang,
Wo wir Sonntagsabend saßen-
Feierlich beim Glockenschlag....


Es rauscht und strömt in Russlands Weiten-
Russland du hast viel geseh’n;
Uns Wolgadeutsche ließ man schreiten
Und wortlos dann untergeh’n.


Strommwärts ging dann uns’re Reise
Auf den Wolgafluss hinaus.
Traurig klang die alte Weise:
„Grüß noch mal mein Vaterhaus!“.
Weit verbannt in Taigawäldern,
Hinter Stacheldraht und Zaun,
Wenn ich hungrig eingeschlafen-
Sah ich dieses Haus im Traum.
Und ich kann es nicht vergessen,
Dieses Haus am Wolgastrand,
Wo die Väter eins gesessen
Und bebauten dieses Land...


Es rausch und strömt in Russlands Weiten-
Russland, du hast viel geseh’n;
Uns, Wolgadeutsche lies man schreiten
Und wortlos dann untergeh’n.


Schuldlos wurden wir vertrieben-
Viele mussten untergeh’n!
Wer am Leben ward` geblieben
Wollt` zu Fuß nach Deutschland geh’n.
Nach Deutschland geh’n.

 Frank Rennicke  
(etwa um 1992)


      

        Hercules


Дождём осенним умываясь
Роняя листья плачет лес;
Над ним в тумане возвышаясь,
Стоит на замке Геркулес.
Плечами небо подпирая,
Почти три века здесь* один,
Стоит забот мирских не зная,
Он, Зевса и Алкмени Сын!

О сколько подвигов бессмертных,
В античном мире ты свершил!
И сколько эллинов там смертных,
От зла и бедствий зашитил!
Не ты ль с кентаврами сражался?
От Гидры спас Пелопоннес?
Где трудно людям - ты являлся,
Непобедимый Геркулес!

Твоими сильными руками,
Избавлен от своих цепей,
Прикованный к скале Богами,
Великодушный Прометей!
Не спас трезубец Посейдона,
Ни Гея мудростью своей:
Тобой сражён и пал без стона,
Bластитель Ливии Антей!

Ты в подвигах неповторимых,
Немало совершил чудес;
Одно для нас, судьбой гонимых,
Ешё сверши, о Геркулес!
К тебе сюда, где предки жили,
Толпою беженцев пришли,
Над нами геноцид творили,
Нас не пускали, но дошли!

Добро, нажитое годами,
Могилы матерей своих,
Пришлось оставить со слезами,
Чтоб быть вот здесь, у ног твоих.
Язык отцов своих забыли,
С надеждой возродиться шли,
Увы, мы ТАМ чужими были,
Своих и ЗДЕСь мы не нашли.

Куда же нам? В какие дали,
К какому берегу грести?
Куда нести свои печали,
И где звезду свою найти?
Назад - и в спецпереселенцы?
Жить аусзидлерами тут?
Смириться с тем, что ТАМ мы немцы,
А ЗДЕСь нас русскими зовут?

Очнись! Воскресни вновь, Геракл!
И снова чудо сотвори,
Чтобы никто из нас не плакал,
И не стонал бы от тоски!
Дай силы нам, воспрянуть духом,
Всели уверенность в сердца!
Надежда, тополиным пухом,
Над нами вьётся пусть всегда!

И пусть, твои стальные руки,
Опорой будут нам в пути,
Чтоб хоть не мы, но наши внуки,
Смогли бы счастье здесь найти!
Храни же нас, герой Эллады,
Держи над нами сBод небес,
Будь нам источником отрады,
О легендарный Геркулес!


* Das heißt in Kassel


Бывший преподователь
горного техникума г. Караганды
Алехандр Эрфурт (Alexander Erfurt)
<Kassel, Oktober 1993>